Interview mit Imam Iftekhar Ahmed

Er ist einer der ersten, die in der Jamia Ahmadiyya Deutschland, dem ersten deutschen Institut zur Ausbildung muslimischer Geistlicher, ein siebenjähriges Studium absolviert haben und nun als Imame der AMJ tätig sind.

Nach dem Abschluss seines Studiums der islamischen Theologie trat er seinen Dienst in der Publikationsabteilung der AMJ an und absolviert seitdem ebenfalls ein Studium der Germanistik und der Philosophie, erst an der Universität Leipzig und nun an der Goethe-Universität Frankfurt. Während seiner Zeit im Osten Deutschlands betreute er zudem die Gemeinden Leipzig und Erfurt vor Ort. Wir sprachen mit Iftekhar Ahmed über seine kontrovers diskutierte Rede „Seid euch des Qur’āns eingedenk, heget reine Überzeugung!“ auf der diesjährigen Jalsa Salana Deutschland…

As-Salamu ‘alaikum, Herr Iftekhar Ahmed. Sie haben turbulente Wochen hinter sich… bevor wir auf die Rede anlässlich der Jalsa Salana zu sprechen kommen, möchten wir gerne wissen, wie Sie die Zeit im Osten Deutschlands erlebten? Vermissen Sie die Zeit?

Ja, ich vermisse sie durchaus. Es wäre nicht gelogen, wenn ich sagen würde, dass meine Zeit dort die beste meines Lebens war. Der Osten Deutschlands war teils gänzlich anders, als ich erwartet hatte, anders, als das Bild, das ich über ihn im Kopf hatte und mir die Leute um mich herum suggeriert hatten. Leipzig habe ich als eine sehr weltoffene Stadt in Erinnerung. Das liegt nicht nur daran, dass Leipzig die am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands ist und Leute von überall her dorthin kommen, sondern sie galt immer schon als weltoffen, auch zu Zeiten der DDR. Damals hat man dort, anders als in Dresden, bspw. Westfernsehen empfangen. Deswegen nennen die Leipziger Dresden auch Das Tal der Ahnungslosen. Diese Weltoffenheit spiegelt sich u. a. in der Tatsache wider, dass, immer als es anfangs in Dresden zu Aufmärschen von PEGIDA kam, dort Tausende Leute mitliefen und bei den Gegendemos nur Hunderte teilnahmen. In Leipzig war die Sache genau umgekehrt. Bei LEGIDA marschierten nur einige Hundert mit, wohingegen bei der Gegendemo immer mehrere Tausend Leute dabei waren. Alles in allem eine schöne Zeit mit netten Menschen und einer pulsierenden Stadt.

Haben Sie vor Ort Ausgrenzungserfahrungen und Islamfeindlichkeit erlebt und wie sind Sie damit umgegangen?

In Leipzig direkt eher weniger. Mal ist ein Fahrradfahrer hastig an unserem Stand in der Innenstadt vorbeigefahren und hat im Vorbeifahren irgendetwas Beleidigendes gerufen, aber ansonsten kann ich mich nicht daran erinnern, je islamfeindlich angegangen worden zu sein. Wie gesagt, sieht die Sache aber in Dresden oder auch im Umland von Leipzig und in vielen Teilen des restlichen Ostens, vor allem in dörflichen Gegenden, anders aus. Der amtierende Bundesvorsitzende der Jugendorganisation unserer Männer war damals Imam in Dresden und hat von teils schwerwiegenden Anfeindungen gegen die Gemeinde, aber auch gegen seine Familie erzählt. Auch ich, als ich ab und an mal für Programme der Gemeinde zu Orten um Leipzig gesandt wurde oder auch nach Erfurt, usw., habe dann mehr oder minder böse Feindseligkeiten erlebt.

Apropos Islamfeindlichkeit – Hätten Sie jemals damit gerechnet, dass Ihre Rede auf der Jalsa Salana ein solches Inferno verursachen würde? Wie haben Sie das erste Mal von den Reaktionen im Netz erfahren und was war Ihre Reaktion?

Also ich muss ehrlich gestehen, dass ich eigentlich gar keine Reaktion erwartet habe. Ich hatte diese Rede geschrieben, und hatte, während ich sie schrieb, immer nur unsere eigenen Gemeindemitglieder als Adressaten im Sinn. Die jungen Erwachsenen Ahmadi Muslime, die hier in die Unis gehen und Gefahr laufen, sich von den dort propagierten Ideen einlullen zu lassen und die islamische Weltsicht daraufhin als rückständig und unzeitgemäß oder barbarisch und unterlegen anzusehen. Das erste Mal erfahren habe ich davon, als mir jemand einen Link zu einem Facebook-Video zuschickte, in dem meine halbstündige Rede auf zwei Minuten heruntergestutzt worden war. Ich weiß, das hört sich jetzt abgedroschen an, aber meine Aussagen wurden aus dem Kontext gerissen, halbe Sätze vom Ende der Rede wurden an Sätze, die am Anfang der Rede geäußert habe drangeschnitten, und überhaupt hatte selbst ich, als ich nur diesen Zusammenschnitt gesehen hatte, das Gefühl, das das, was der Herr da sagt, ziemlich bedrohlich und endgültig daherkommt. Dieses Video hat sich dann buchstäblich wie ein Lauffeuer auf Facebook und dann auch auf Twitter verbreitet. Gefühlt jede Facebook-Seite der AfD und anderer Rechtspopulisten teilten das Video und auch in einigen Facebook-Gruppen, in denen ich Mitglied bin, wurden Posts über die Rede erstellt und teils sehr hitzige Diskussionen waren das Resultat. Ich selbst habe dann versucht, überall, wo es mir möglich war, den Link zur gesamten Rede zu teilen und über meine Rede aufzuklären.

Wenn Sie die Botschaft Ihrer eigenen Rede für unsere Leser in zwei kurzen Sätzen zusammenfassen müssten, wie würde diese lauten?

Was ich mit der Rede ausdrücken wollte, ist folgendes: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass unsere jungen Muslime, vor allem jene, die die Akademie durchlaufen, dazu neigen, sich von den dort propagierten Lehren beeindrucken zu lassen und dann anfangen islamische Lehren als antiquiert oder sogar als primitiv zu erachten. Der Qur’an erhebt ganz klar den Anspruch, die perfekte Lehre für alle Ewigkeit zu enthalten. Keine andere Lehre kann seiner Lehre auch nur im Ansatz das Wasser reichen. Deshalb sollten wir als Muslime uns selbstbewusst dazu bekennen, dass wir jene Lehre in den Händen halten, die man letztendlich für alle Situationen und Fragen tatsächlich als ultima ratio schlechthin bezeichnen kann. Alle anderen Lehren, ob göttlich, jedoch obsolet und verfälscht, oder menschengemacht, mögen teilweise schön und gut sein, jedoch sind sie, im Gegensatz zu den qur’anischen Lehren, fehleranfällig und ungenügend. Das ist kein bloßes Gerede, sondern lässt sich mit methodischen Mitteln nachzeichnen. Was ich versucht habe, ist einen Einblick darin zu geben, dass manche hiesigen, hochgepriesenen Lehren, die den qur’anischen Lehren entgegenstehen, sich bei näherem Hinschauen als Trugbild entpuppen.

Der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi behauptet, dass Ihre Rede gefährliche Sätze beinhaltet. So sagt er: „Würde ich als Nicht-Muslim so etwas hören, bekäme ich sofort Angst vor dem Islam.“ Diese Angst, die in der Mehrheitsgesellschaft durch solche sehr konservativen Überzeugungen entstehe, sei berechtigt. Wie sehen Sie das?

Ach, der Herr Ourghi hat sogar gesagt, dass ich ihn an den IS erinnern würde. Das grenzt fast schon an Verleumdung. Herr Ourghi ist eine tragische Figur, ich habe Mitleid mit dem Mann, aber lassen wir das. Es geht doch nicht um konservativ oder nicht. Viele Menschen in Deutschland haben eine noch viel konservativere Haltung, als wir. Die Angst, wenn sie denn berechtigt ist, ist nur insofern berechtigt, als dass bessere Ideen schlechtere Ideen mit der Zeit immer schon ersetzt haben. Als der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren, von Gott für Seine Mission auserkoren wurde, verbreitete sich damals auch die Angst, dass sich jetzt alles verändern würde und die Mekkaner haben damals nichts unversucht gelassen, um dieser Veränderung Einhalt zu gebieten, auch mit Gewalt. Ich bin davon überzeugt, dass

die Lehre, die der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gewähren, gebracht hat und die sein wahrster Diener, der Verheißene Messias, Friede sei mit ihm, heute wieder zum Vorschein gebracht hat, mit der Zeit den heute dominierenden Lehren den Rang ablaufen wird. Aber das wird natürlich nicht mit Gewalt geschehen, sondern, wie schon der dritte Kalif des Verheißenen Messias, möge Allah sich seiner erbarmen, damals, als er in der 70ern oder 80ern eine Reise nach Europa unternommen hat, gesagt hat: „We try to win the hearts!“ Insofern ist die Angst vor Gewalt oder Unterdrückung und ähnliches vollkommen unbegründet. Im ach so gepriesenen freien Wettbewerb der Ideen wird sich letzten Endes die Idee des Qur’an durchsetzen und diese wird Frieden und Harmonie bringen, also nichts wovor man Angst zu haben bräuchte.

So schreibt auch Susanne Schröter, Ethnologin und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam auf Facebook: „Wenn man sich fragt, warum die Mehrheit der Menschen in Deutschland den Islam nicht als Bereicherung empfindet, dann hilft das Anhören dieses Beitrags aus der Ahmadiyya Muslim Jamaat weiter“. Solche Leute riefen „natürlich“ Ablehnung hervor. Ist diese Aussage für Sie nachvollziehbar?

Nachvollziehbar? Ich weiß es nicht. Möglicherweise. Die Menschen fühlen sich durch meine Rede auf den Schlips getreten, weil ich Kritik an ihnen und ihrem Weltbild geübt habe, weil ich ihnen gesagt habe, dass das, woran sie glauben, nicht der Weisheit letzter Schluss ist, und weil ich gerade den Islam, die so ungemein barbarische, hinterwäldlerische, grausame, antidemokratische Lehre als Alternative aufgezeigt habe. Wie könne jemand bloß von draußen kommen und die ganzen Annehmlichkeiten des Westens genießen und dann den Westen auch noch so schmähen, werde ich gefragt. Ich habe den Westen nicht geschmäht. Ich bin dankbar dafür, dass der Westen uns aufgenommen hat, uns Religionsfreiheit gewährt hat, aber das heißt doch nicht, dass ich, wenn ich der Meinung bin, einen Mehrwert für die Gesellschaft parat zu haben, diesen der Gesellschaft vorenthalte, nur weil die Gesellschaft das Bittere dieser Medizin sieht, nicht jedoch die Heilsamkeit darin. Wenn ich den Westen kritisiere, dann nicht destruktiv, sondern, meines Erachtens, konstruktiv. Was ich geleistet habe, war ein Debattenbeitrag, aber so gut wie kein einziger Kritiker meiner Rede hat sich inhaltlich damit befasst. Mir wurde Pauschalisierung vorgeworfen, dabei haben sämtliche Kritiker selbst meine Rede pauschalisiert. In der Rede selbst, spreche ich davon, dass dem Islam nicht auf Augenhöhe begegnet wird. Die Reaktionen auf diese Rede haben das ohne Frage wieder in Beweis gestellt.

Es wird behauptet, Ihre Rede sei eine Kampfansage gegen Aufklärung, Moderne und die westlichen Werte. Hätten Sie die jetzt die Möglichkeit Aussagen und Inhalte aus Ihrer damaligen Rede zu ändern, würden Sie dies tun – und falls ja, was würden Sie ändern?

Es war ja auch eine Art von Kampfansage an die Aufklärung und die Moderne und den westlichen Werten, aber nicht restlos. Es gibt Dinge, die sind nun einmal von meinem Blickwinkel aus zu beanstanden, und diese habe ich beanstandet. Wer meint, ich läge mit meiner Kritik falsch, sollte, anstatt meine Person zu diffamieren und Parolen von sich zu geben, auf meine Aussagen eingehen und mir erklären, wo ich falsch lag. Man muss wissen, dass die Rede, die ich ursprünglich geschrieben hatte, am Ende 45 Minuten lang war. Ich musste meine Rede kürzen, um die vorgegebenen 30 Minuten nicht zu überschreiten. Wenn ich jetzt noch einmal die Möglichkeit bekäme, würde ich wohl nicht so pauschalisieren und detaillierter auf einzelne Punkte eingehen, mir mehr Zeit nehmen und die Zusammenhänge zwischen meinen Aussagen feiner herausarbeiten. Ich würde meine Behauptungen mit Zitaten und mehr Belegen unterfüttern. All das ist, glaube ich, doch zu kurz gekommen. Ansonsten würde ich jedoch nicht allzu viel an der Rede ändern.

Ihre Botschaft an all die Menschen da draußen, die Sie für diese Rede verurteilen:

Sprechen oder schreiben Sie mich an. Sagen Sie mir, was genau Sie an der Rede stört. Ich werde versuchen, ihre Sorgen und Ängste auszuräumen, so Allah will.

Jazakmullah für Ihre Zeit.

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