Gotteserkenntnis – Teil 2

Hadhrat Musleh Mau‘udRA – Für Teil 1 folgen Sie bitte diesem Link

Der Weg zur Gotteserkenntnis

Nun sollte man schauen, welche Wege zur Erlangung dieser Erkenntnis führen und welche Mittel dahin es gibt. Deswegen ist die erste Sache, die ich erwähnen will, dass es zwar einige Leute gibt, die sich anstrengen, aber keine Erkenntnis erlangen, doch lassen wir diese beiseite. Ich will ein paar Worte über diejenigen verlieren, die sich gar nicht erst bemühen, sich aber wünschen, zu Gott zu finden. Betrachtet man die Taten solcher Leute, ist es offensichtlich, dass sie keinerlei Anstrengung auf sich nehmen, um Gott zu finden. Es verhält sich mit ihnen nicht anders, als wenn man an etwas denkt, sobald es in einer Sitzung erwähnt wird: Wann immer sie davon hören, Gott zu erlangen und Ihn zu finden, keimt in ihnen der Wunsch auf, zu Gott zu finden. Doch solche Menschen können in keinem Fall zu Gott finden.

Gotteserkenntnis ist nämlich etwas sehr Kostbares und Unschätzbares. Im Alltag sehen wir, dass nicht einmal die allerkleinste Sache ohne Mühe und Anstrengung erlangt werden kann. Kleinkinder pflücken Beeren von Sträuchern, um sie zu essen. Nun ist die Beere eine recht kleine Sache, die landauf, landab leicht zu haben ist. Im Wald wachsen sie sogar sehr zahlreich, doch trotzdem werden die Hände beim Pflücken zerkratzt und die Kleider reißen. Wenn also nicht einmal so etwas Kleines wie eine Beere ohne Mühe und Anstrengung erlangt werden kann, wie soll dann Gott ohne jegliche Mühsal und Beschwernis erreicht werden können? Wenn es etwas gibt, was in beiden Welten existiert, so ist es Gott. Und wenn man schon bei der Erlangung der banalsten und geringfügigsten Dinge Strapazen und Bürden auf sich nehmen muss, wie kann es dann sein, dass Gott, der Schöpfer jedes Dings, bloß mit einem halbherzigen Seufzer und Stöhnen zu finden wäre? Solche Menschen haben noch nie Gott gefunden, noch können sie Ihn finden, noch werden sie Ihn finden, weil es unabdingbar ist, Anstrengungen auf sich zu nehmen, wenn man Gott finden will. Falls jemand in der Hoffnung das Treuegelübde leistet, dass, sobald er Hand auf Hand legt, er mir nichts, dir nichts im Hofe Gottes ankommt, dann ist das ein großer Irrtum. Er wird damit niemals Erfolg haben. 

Einige Ignoranten denken, dass es auf der Welt Heilige gegeben habe, die, sowie sie ihren Blick auf jemanden gerichtet haben, augenblicklich all ihren Rost abgelegt und zu Qutb[1], d.h. vollkommenen Menschen, geworden seien. Diese Vorstellung ist völlig verfehlt. Gotteserkenntnis wurde noch nie spielend erworben, noch wird sie je können. Bis heute gibt es kein einziges Beispiel dafür, wie Erkenntnis ohne Opfer, ohne jegliche Mühe und ohne Bestrebungen erlangt worden wäre. Die Menschen mit dem höchsten Rang sind doch ProphetenAS. AuliaRH sind von viel kleinerem Rang als sie. Zu denken, dass etwa Sayyad Abdul Qadir JilaniRH durch das Erblicken eines Diebes zum Qutb wurde, oder Hadhrat Muinuddin ChishtiRH durch seinen Lehrer in einem Augenblick zu seinem Rang gekommen ist und alles erlangt hat, ist völlig falsch. Denn wir sehen, wie Gottes GesandterSAW, dank dem und durch dessen Befolgung sie alles erreicht haben, selbst zu Gott gefunden hat. Hierzu können wir den Quran und die Hadith zurate ziehen. Im Quran sagt Gott zum Heiligen ProphetenSAW:

وَوَجَدَكَ ضَالًّا فَهَدَىٰ (Ad-Duha, Vers 8),

d.h. Wir fanden dich derart aufgelöst in deiner Sehnsucht und Liebe zu Uns vor, dass du von Kopf bis Fuß gar deines Selbst uneingedenk und derart verloren in der Gottesliebe warst, dass du an nichts anderes mehr dachtest, da führten Wir dich richtig.

Die eigentliche Bedeutung von ضَالًّا ist hier „aufgelöst und verloren in der Gottesliebe“, da der Quran selbst bezeugt, dass der Heilige ProphetSAW nie der Irrleitung oder Irrwegen gefolgt ist:

مَا ضَلَّ صَاحِبُكُمْ وَمَا غَوَىٰ (An-Nadschm, Vers. 3)

d.h. „euer Gefährte (Muhammad) ist weder verirrt, noch ist er im Unrecht“

Jedes seiner Werke wurde zum schönen Vorbild erklärt:

لَّقَدْ كَانَ لَكُمْ فِي رَسُولِ اللَّـهِ أُسْوَةٌ حَسَنَةٌ (Al-Ahzab, Vers 22)

d.h. „Wahrlich, ihr habt an dem Propheten Allahs ein schönes Vorbild“

Nun muss man  ضَالًّا  so auslegen und übersetzen, dass es in Einklang mit den anderen Versen bleibt, und zwar, indem Gott sagt: Du warst derart verloren in Meiner Liebe, dass Du dir nicht einmal mehr bewusst warst, wohin du gehst, und du hast in deiner sehnsüchtigen Suche nach Mir dich selbst völlig aus den Augen verloren. All deine Gedanken und deine ganze Innenwelt waren verloren in Meiner Liebe.

Dass der Heilige ProphetSAW in dieser Bedeutung „verloren“ war, daran sind wir gewillt zu glauben – was heißt schon gewillt –, ja, wir sagen, dass es ohne jeden Zweifel so geschehen ist. Erst nach der Entwicklung solch einer inbrünstigen Liebe spricht Allah: فَهَدَىٰ, d.h. „also führte Er ihn richtig“. Nun schaut, das war der Stand MuhammadsSAW und von ihm lässt sich auf alle anderen ProphetenAS schließen, weil er der Führer aller ProphetenAS und zentraler Sammelpunkt all ihrer Ränge war. Darum kann nicht behauptet werden, dass er selbst für die Gotteserkenntnis zwar Mühsal auf sich nehmen musste, die anderen diese aber ohne Weiteres erlangt hätten. Könnte irgendwer diese Gunst ohne jegliche Mühe erhalten, dann hätte sie gewiss der Heilige ProphetSAW mühelos erhalten. Wenn es aber über den Heiligen ProphetenSAW heißt, dass er erst nach einer Selbstauflösung zu Gott fand, dann ist der Gedanke damit absolut nichtig, dass irgendeiner der AuliaRH aus seiner Gefolgschaft solche Kräfte entwickelt hätte, die Menschen in einem Augenblick zu Aqtab machen zu können. Wenn nicht einmal der Heilige ProphetSAW diesen Rang ohne Mühsal erlangt hat, wie soll dann irgendein anderer diesen erreichen können?

Wer immer also diese Gunst gewinnen will, wird große Mühen durchmachen müssen. Ohne diese wird er rein gar nichts erreichen, das ist völlig unmöglich. Es verwundert doch sehr, dass die Jungen sich mindestens 16 Jahre lang abmühen und schuften, um eine hohe Bildung im Englischen zu erlangen, aber das Wissen um Gott wollen sie binnen eines Tages gewinnen. Kein Zweifel, das Wissen um Gott wird allein durch Seine Gnade und die Befähigung durch Ihn erlangt. Wäre nämlich hierfür ein mit der Mühe und Zeit für die Erlangung weltlicher Dinge vergleichbares Maß bei der Erlangung von Gotteserkenntnis angesetzt worden, dann wären hierfür Millionen und Abermillionen Jahre nötig gewesen. Und die Leute sind darauf versessen, dass man Gotteserkenntnis augenblicklich erlangen können sollte. Wir aber entgegnen, was denn einfacher sein könnte, als dass man sie durch die ProphetenAS und AuliaRH in wenigen Jahren bzw. einigen Monaten erlangen kann? Je fähiger jemand ist und je stärker er danach strebt, desto schneller erlangt er sie auch. Merkt euch also gut, dass Gotteserkenntnis nicht ohne Weiteres erreicht wird. Es gibt einige Menschen, die man dabei sieht, wie sie sich zwar wünschen, Gott zu finden, aber gleichzeitig wünschen sie auch, ihn unverzüglich zu finden. Den Menschen unserer Jamaat ist Gottes Gnade zuteil und sie sind Gott sei Dank anders. Es gibt nämlich auch solche, die diese Art von Rede nicht einmal anhören können und verlangen, dass ein einziger Satz dem Mund entweicht und sie unmittelbar darauf zu Gotteseingeweihten werden, obwohl diese Gunst einem nicht durch Reden zuteilwird, sondern durch schwere Mühsal, durch Selbstzerbröckelung und der Verlorenheit und Selbstvergessenheit in Gottesliebe. Sie kann erlangt werden, indem man sich selbst unter dem Vorbild und der Praxis des Heiligen ProphetenSAW verlorengehen lässt, um Gott zu finden. Diejenigen unter euch, die den Wunsch haben, Gotteserkenntnis zu erlangen – und ich denke nicht, dass es jemanden gibt, der diesen Wunsch nicht hegt, denn wenn man den Verheißenen MessiasAS akzeptiert, dann eben zu diesem Zweck der Gotteserkenntnis –, sollten sich diese Dinge sehr gut einprägen. Lauschen Sie dem mit äußerster Aufmerksamkeit, was ich Ihnen heute sage, und bemühen Sie sich, danach zu handeln.

Ich sage nicht, dass ihr die Mittel und Wege, die ich zur Erlangung der Gotteserkenntnis erwähnen werde, noch nie zuvor gehört habt. Viele davon habt ihr auch schon zuvor gehört. Mein Zweck mit meinem heutigen Vortrag ist, Ihnen die Dinge, die für die Erlangung von Gotteserkenntnis notwendig sind, auf eine solche Weise und mitsamt dem Wissen, das Gott mir gegeben hat, vorzulegen, sodass Sie diese mit Leichtigkeit nutzen und sich merken können. Gott hat mir besonderes Wissen über dieses Thema gewährt und das ist nicht etwa auf irgendeinen Vorzug von mir zurückzuführen, oder irgendeinen Wissenseifer und auch meine eigenen Bemühungen und Anstrengungen haben keinen Anteil daran; dies ist nicht als die Gnade und Barmherzigkeit Gottes, die Er mir erwiesen hat. Er gab mir solches Wissen, dass ich denke, diejenigen, die Nutzen daraus ziehen werden, werden sehr rasch einen Wandel in sich entwickeln können. Es war mir seit geraumer Zeit ein Bedürfnis, meine Jamaat mit diesem Wissen vertraut zu machen, zumal dieses Wissen überaus wichtig ist und viele Zweige besitzt, für deren Ausführung man viel Zeit benötigen würde. Da aber weder momentan so viel Zeit zur Verfügung steht, noch meine Gesundheit erlaubt, lange Reden halten zu können, habe ich mich im Augenblick nur eines Unterpunktes angenommen. Ich will, so Gott will, auch die weiteren Unterpunkte ausführen, aber ich weiß nicht, ob ich die Gelegenheit dazu noch haben werde oder nicht. Denn ich und einige andere Freunde haben einige warnende Träume hinsichtlich meiner Gesundheit gehabt. Deswegen führe ich den Umständen entsprechend zum jetzigen Augenblick einen Unterpunkt aus. Alle weiteren überlasse ich dem Willen Gottes. Andererseits habe ich vonseiten Gottes auch einige Frohbotschaften erhalten, und auch wenn sie nicht derart sind, dass man anhand dessen mit völliger Sicherheit zu einem Entschluss gelangen könnte, ob ich nun die Gelegenheit haben werde, alle weiteren Unterpunkte auszuführen, oder nicht, so leite ich selbst daraus ab, dass ich die Gelegenheit erhalten werde.

Ein Traum der Frohbotschaft 

Eine dieser Frohbotschaften sieht so aus: Ich träumte, wie ich im Bait-ud-Dua sitzend in der Haltung des tašahhud betete „O Gott! Lass mein Ende wie das von AbrahamAS sein“. Ergriffen von Elan stand ich daraufhin auf und betete das gleiche, als sich eine Tür öffnet und Mir Muhammad Ismail Sahib darin steht und Licht macht. Ismail bedeutet „Gott hat erhört“ und mit dem abrahamischen Ende war der letztliche Ausgang AbrahamsAS gemeint, nach dessen Ableben Gott zwei Nachfolger, Hadhrat IsaakAS und Hadhrat IsmailAS, aufstellte. Dies ist gewissermaßen eine Frohbotschaft, die Sie erfreuen sollte.


[1] Begriff aus der islamischen Mystik; Plural: Aqtab. (Anm.d.Übers.)

Leave a Comment

Your email address will not be published.

Start typing and press Enter to search