Moral

HADHRAT MIRZA BASHIRUDDIN MAHMUD AHMAD (ra), KHALIFATUL MASIH II, MUSLEH MAU‘ŪD

Was ist Khulq (Moral)

Bevor wir uns mit der Thematik der Moral befassen, sollten wir klären, was ḫulq eigentlich bedeutet. In diesem Zusammenhang haben alle Religionen und Philosophen, mit Ausnahme des Islams, Fehler gemacht. Sie definieren diesen Begriff auf seltsame Weise:

Laut einigen Menschen ist ḫulq eine tief verwurzelte dem Menschen innewohnende Fähigkeit, die es ihm ermöglicht, eine Tat ohne Überlegung und Mühe zu vollbringen oder zu unterlassen. Andere glauben, dass ḫulq eine fromme Gesinnung sei, die im Menschen implantiert wurde, um ihm einen Beweis für Gott zu liefern.

Einer weiteren Auffassung zufolge ist ḫulq eine Art Vermögen, das sich nach langer Erfahrung entwickelt hat und nun von Generation zu Generation vererbt wird. Westliche Philosophen scheinen zu der letzteren Ansicht gelangt zu sein.

Meines Erachtens handelt es sich dann um einen moralischen Zustand oder eine moralische Tat, wenn die natürlichen Bedürfnisse mit der Kraft des Denkens zusammenwirken und das Wesen, welches diese Bedürfnisse steuert, die Kraft besitzt, selbst zu entscheiden. Das bedeutet, dass das Wesen frei entscheiden kann, ob es den Bedürfnissen nachgeht oder nicht. Wenn solche Handlungen von einem Wesen ausgehen, welches nicht über Vernunft verfügt, beispielsweise im Falle von Tieren, dann spricht man von instinktiven und nicht von moralischen Handlungen. Tiere besitzen zwar die Fähigkeit zu lieben, doch man kann sie nicht als moralische Wesen bezeichnen. Ihre Handlungen folgen bloß instinktiven und natürlichen Trieben. Gehen solche Handlungen aus Pflanzen oder leblosen Wesen hervor, so spricht man von Naturerscheinungen.

Dieser Teil der Thematik ist komplex. Falls es Brüder gibt, die dies noch nicht ganz verstehen, so werden sie es dann verstehen können, wenn diese Rede als Buch veröffentlicht wird. Da das Thema ein wesentliches Bindeglied ist zwischen dem bisher Gesagten und dem, was nun folgen wird, ist eine Erläuterung notwendig. Der folgende Teil wird für jeden verständlich sein. Ich habe bereits moralische Handlungen als solche Handlungen definiert, die von einer Person ausgehen, die Vernunft besitzt und eine Tat mit freiem Willen ausführen oder unterlassen kann.

Gutes moralisches Handeln

Nun werde ich definieren, was aḫlāq-e ḥasana (gute moralische Handlungen) bedeutet. Verschiedene Leute haben dieses Wort auf unterschiedliche Weise definiert:

Einigen zufolge spricht man von aḫlāq-e ḥasana, wenn menschliches Handeln der Leitung der Vernunft unterliegt. Andere sagen, moralisch gute Handlungen sind jene, die dem Menschen zum wahren Glück verhelfen.

Wiederum andere denken, moralisch gute Handlungen seien jene, bei denen man selbstlos handelt, also anderen Gutes zukommen lässt, auch wenn man selbst dafür Opfer erbringen muss.

Manche sagen, moralisch gute Handlungen seien jene, die der Vernunft folgend und in Form von Einschränkungen des Selbst erbracht werden, die dem Individuum selbst zum Vorteil gereichen. Muslimischen Sufis zufolge sind moralisch gute Handlungen jene, die unter der Leitung der Vernunft und den Gesetzen der Scharia folgend durchgeführt werden.

Imām Ġazālī hat diese letzte Definition gewählt. Sie bedarf jedoch meines Erachtens einer Verbesserung.

Vernunft und Scharia sind wesentliche Elemente einer guten moralischen Handlung. Jedoch gibt es andere Bedingungen, die erfüllt werden müssen: Eine moralische Handlung wird aus freiem Willen, mit eigener Absicht und eigener Kraft ausgeführt. Sind diese Bedingungen bei den Handlungen nicht erfüllt, kann man nicht von aḫlāq-e ḥasana (guten moralischen Handlungen) sprechen. Wenn beispielsweise eine Person im Halbschlaf einer bedürftigen Person eine Rupie schenkt, sich jedoch im vollen Bewusstsein von wohltätigen Spenden fernhält, wird ihr Geschenk nicht als eine gute moralische Handlung bezeichnet. Denn er hat diese Tat nicht mit Absicht durchgeführt. Nur solche Handlungen können als aḫlāq-e ḥasana bezeichnet werden, die unter der Leitung der Vernunft, der Scharia folgend und mit Absicht vollzogen werden.

Eine weitere Bedingung für moralisch gutes Handeln ist, dass es im Einklang mit den Eigenschaften Gottes steht und diesen nicht widerspricht. Allein dies ist eine zutreffende Definition. Denn um ein Handeln als „gut“ bezeichnen zu können, muss es rein von Makeln sein. Nichts, was unserer Vernunft als fehlerfrei erscheint, ist tatsächlich so, solange dessen Reinheit nicht durch die Attribute Gottes bezeugt wird. Nur eine solche Handlung kann als gut bezeichnet werden, denn nur Gottes Wesen ist vollkommen frei von allen Makeln.

Aus „Das Gedenken Allahs“, S. 74-87

Leave a Comment

Your email address will not be published.

Start typing and press Enter to search